Tabuthema Menopause: Kümmern wir uns ausreichend um die Versorgung der Frauen?

Tabuthema Menopause: Kümmern wir uns ausreichend um die Versorgung der Frauen?

Digitales Symposium organisiert von WISO S. E. Consulting unter Mitwirkung von Besins Healthcare Germany

Hamburg, 28.07.21 – Fehlendes Wissen, zu wenig Aufklärung, Falschinformationen – das ist der Tenor, wenn es um das Thema Wechseljahre geht. Und es scheint akuten Handlungsbedarf zu geben: Anlässlich eines Digitalen Symposiums, veranstaltet von WISO S. E. Consulting und unterstützt von Besins Healthcare Germany, trafen sich hochkarätige Expertinnen und Experten, um über den aktuellen Forschungsstand und die Versorgung von Frauen im klinischen Alltag zu berichten sowie über die immer noch weitverbreitete soziale Stigmatisierung zu sprechen.

Als „Highway to Menopause“ bezeichnet die erste Vortragsrednerin Prof. Dr. Petra Stute den hormonellen Umwandlungsprozess, der sich über Jahre hinziehen kann. Die Kernbotschaft der Stv. Chefärztin für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in der Frauenklinik am Inselspital Bern: Obwohl die neue S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Wechseljahresbeschwerden die Hormonersatztherapie als „First Line“-Therapie empfehle, um klimakterische Beschwerden in den Griff zu bekommen, würde nur ein Bruchteil der Frauen davon profitieren.

Zu viele Falsch- und Unterdiagnosen

Dazu legt sie konkrete Zahlen vor: Einer forsa-Umfrage zufolge fühlen sich 75 Prozent der befragten Frauen zwischen 45 und 60 Jahren durch die während der Wechseljahre auftretenden Hitzewallungen eingeschränkt. 37 Prozent der befragten Frauen bezeichnen ihren Gesundheitszustand während der hormonellen Umbruchphase als schlechter oder sogar sehr viel schlechter. [1] Die Beobachtung der erfahrenen Klinikerin: Häufige Symptome wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Reizbarkeit, Ängste, Depressionen, aber auch Schlafstörungen, Gelenkschmerzen und vieles mehr, die im Schnitt sieben bis acht Jahre, manchmal auch 20 Jahre anhalten könnten, würden zu oft medizinisch nicht richtig diagnostiziert und behandelt werden. „Viele Frauen etwa mit depressiven Verstimmungen werden mit einem Antidepressivum nach Hause geschickt. Nur bei 14 Prozent der Betroffenen wird die Diagnose „Klimakterisches Syndrom“ gestellt“, so Prof. Dr. Stute. Im Schnitt dauere es 1,5 Jahre zwischen erster Diagnose und der Verschreibung einer Hormonersatztherapie.

Zu wenig Aufklärung, zu viel „Gynäkologen-Hopping“

Gründe dafür sieht sie in der immer noch mangelnden Aufklärung über Vor- und Nachteile der Hormonersatztherapie (HRT). „Die Therapie ist ein dynamischer Prozess, der immer wieder überprüft und angepasst werden kann“, sagt die Expertin. Vor allem die gut zu dosierende transdermale Östrogengabe über die Haut sei nicht mit einem erhöhten Risiko für Thrombosen und Schlaganfall verbunden. „Leider werden Hormonersatztherapien immer noch pauschal mit bestimmten gesundheitlichen Risiken in Verbindung gebracht“, so Prof. Dr. Stute weiter. Wissenschaftliche Erkenntnisse bilden das aber in keiner Weise ab. „Inzwischen ist der präventive Schutz im Zusammenhang mit Knochengesundheit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, Demenz und vielem sehr gut erforscht“, erklärt sie.

Offensichtlich fehle Frauen aber das Vertrauen in ihre behandelnde Ärzteschaft, weil auffällig wäre, wie häufig sie in dieser Phase ihres Lebens die gynäkologische Beratung wechselten. Die Forderung der Expertin: mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit, mehr Informationsaustausch, mehr aufklärende Diskussion auf allen Ebenen.

Präventiver Schutz von Hormonen zu wenig bekannt

Zu einem ähnlichen Fazit kommt Dr. Ludwig Baumgartner, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Freising. Seine Beobachtungen im Praxisalltag: Frauen seien nicht genug über den präventiven Schutz von Hormonen aufgeklärt. „Wenn die Schilddrüse nicht richtig funktioniert, substituieren wir mit Schilddrüsenhormon. Das gleiche gilt für die Bauchspeicheldrüse. Aber wenn die Hormonkurve im Zuge der Wechseljahre abflacht, wird das häufig einfach hingenommen“, sagt er. Seine Erfahrung: „Die Skepsis ist groß: Trotz intensiver Beratung entscheidet sich etwa die Hälfte der Frauen gegen eine Hormonersatztherapie.“ Seiner Meinung nach müsse der präventive Nutzen von Sexualhormonen sehr viel stärker publik gemacht werden. Dr. Baumgartner spricht von einem „Window of Opportunity“, dem optimalen Zeitpunkt, mit einer Hormonersatztherapie zu beginnen. Den sieht er möglichst früh und weit vor dem 60. Lebensjahr, um optimal vom Präventivcharakter der Therapie zu profitieren. „Wir müssen klar machen, in welchem Ausmaß sich das Risiko für altersdegenerative Erkrankungen wie Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Darmkrebs und Demenz reduziert. Auch andere Beschwerden wie die urogenitale Atrophie sind dadurch gut behandelbar. Die Hormonersatztherapie hat praktisch nur positive Prognosen und das bei steigender Lebensfreude und Lebensqualität“, fasst er zusammen. In seinen Augen sei überaus sinnvoll, von dem präventiven Schutz so lange wie möglich zu profitieren – bis ins hohe Alter.

Gynäkolog:innen würden das bereits erkennen. Umfragen zufolge nehmen 67 Prozent von ihnen selbst eine Hormonersatztherapie in Anspruch. Aber offensichtlich hapert es noch an der Kommunikation der Vorteile einer HRT: Viele Fachärzt:innen legen ihren Patientinnen eine HRT zur Linderung von Wechseljahresbeschwerden nahe, ohne zusätzlich auf den präventiven Nutzen einer HRT aufmerksam zu machen – mit dem Ergebnis, dass nur 15 Prozent der Patientinnen sich mit einer HRT behandeln lassen möchten, mutmaßt Dr. Baumgartner.

Mehr Aufklärung und Tiefgründigkeit

Mangelnde Kommunikation sehen auch Dr. Beate Merk, Stellv. Vorsitzende des Arbeitskreises für Gesundheit und Pflege im Bayerischen Landtag, und Prof. Dr. Claudia Wöhler, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Bayern, als Hauptproblem an. Die weithin bekannte WHI (Women’s Health Initiative)-Studie von 2002 habe zu einer großen Verunsicherung geführt, meinen beide. „In der Konsequenz hat das Interesse an endokrinologischen Zusammenhängen abgenommen“, beobachtet Prof. Dr. Wöhler. „Um ein umfangreiches Gesundheitsmanagement zu etablieren, müssen wir für mehr Aufklärung und Tiefgründigkeit sorgen. Insbesondere junge Ärztinnen und Ärzte brauchen mehr Informationen über endokrinologische Zusammenhänge, um adäquat diagnostizieren und behandeln zu können“, sagt sie. Als Verantwortliche einer großen gesetzlichen Versicherung nimmt sie die steigende Krankheitslast in diesem Lebensabschnitt wahr. Für sie stehen Vorsorge und Prävention besonders im Fokus. Sie fordert, das Thema Wechseljahre stärker ins Gespräch zu bringen und aus der Tabuzone herauszuholen: „Wir müssen für eine Entstigmatisierung sorgen,“ sagt Prof. Dr. Wöhler.

Paradigmenwechsel auf gesellschaftspolitischer Ebene

Politikerin Dr. Beate Merk sieht großes Potenzial in der Eröffnung einer Debatte auf gesellschaftspolitischer Ebene. „Wir haben in Deutschland eine andere Art, mit Alter umzugehen. Es gibt große kulturelle Unterschiede etwa zu Ländern wie Japan, wo Älteren mit großem Respekt und Wohlwollen begegnet wird,“ sagt sie. Dafür müsse es eine Bereitschaft geben, das Thema Wechseljahre auf allen Ebenen zu kommunizieren. „Bisher ist diese Lebensphase ausschließlich im Privaten abgelaufen“, sagt die Staatsministerin a.D. „Doch wir brauchen eine offene Diskussion darüber, wie sich eventuelle Beschwerden auch im Berufsleben auswirken. Das Schlechteste, was passieren könnte, ist, dass sich Frauen in dieser Phase zurückziehen. Frauen brauchen unsere volle Unterstützung – und zwar auf allen Ebenen“, fordert sie.

Quellen:

  1.  forsa-Umfrage „Meinungsbarometer Wechseljahre 2020“ im Auftrag von Besins Healthcare Germany GmbH